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  • Dauerfeuer fürs Gehirn – Wie Medien uns krank machen können

Morgens das Radio. Mittags die News-App. Abends die Tagesschau. Was als Information gedacht ist, fühlt sich mittlerweile oft an wie ein Dauerbeschuss. Ein Krieg hier, ein Skandal da, Inflation, Klimakrise, nächste Katastrophe in Sicht.
Und als kleines „Dessert“ zwischendurch – in der Kaffeepause, beim Warten auf den Bus oder kurz vorm Einschlafen – noch schnell Instagram oder Facebook checken. Weil: Könnte ja was verpasst haben.

Unsere Gesellschaft ist informiert wie nie – aber auch gestresst wie nie. Zufall? Wohl kaum.

Wenn Nachrichten krank machen

Nachrichten sollen uns informieren. Doch oft überrollen sie uns. Die klassischen Medien – Fernsehen, Radio, Zeitungen – arbeiten mit Wiederholung, Zuspitzung und Dramatik. Warum? Weil unser Gehirn auf starke Reize stärker reagiert. Schlagzeilen wie „Angst vor Blackout wächst“ oder „Wirtschaft vor Kollaps?“ lösen Stress aus, auch wenn wir das rational wegzuwischen versuchen.

Das hat einen Namen: Doomscrolling – das zwanghafte Konsumieren negativer Nachrichten. Und es wirkt wie Gift auf unsere Psyche. Studien zeigen, dass Menschen, die häufig Nachrichten konsumieren, ein höheres Risiko für Angststörungen, Schlafprobleme und depressive Symptome haben. Kein Wunder – das Hirn bekommt kaum noch Pausen.

Psychologie der Massen – Reloaded

Schon Gustave Le Bon hat in seinem Werk „Psychologie der Massen“ beschrieben, wie leicht sich Menschen in Gruppen durch einfache Botschaften und Wiederholungen beeinflussen lassen. Heute übernehmen diese Rolle Medien. Wenn du zehnmal am Tag hörst, „alles wird schlimmer“, dann glaubst du das irgendwann – egal, wie komplex die Realität wirklich ist.

Das Fatale: Viele Sender berichten gar nicht bewusst manipulativ, aber sie folgen Mechanismen, die Einschaltquoten und Klicks garantieren. Und das bedeutet: Drama sells. Angst auch.

Social Media: Die Zuckerwatte-Version des Wahnsinns

Während die klassischen Medien mit Alarmismus um sich werfen, geben sich die sozialen Netzwerke eher wie ein überzuckerter Jahrmarkt. Instagram, TikTok & Co. liefern Dopamin auf Bestellung. Hier ist alles schön, schnell, aufregend – und oft komplett unrealistisch.

Du scrollst durch perfekt inszenierte Leben, Körper, Urlaube und Karrieren – und fängst unweigerlich an, dich zu vergleichen. Dein Frühstück war okay? Pech – bei jemand anderem ist’s ein Kunstwerk. Dein Bauch? Nicht so definiert wie bei XY. Willkommen im ewigen Wettbewerb, den niemand gewinnt.

Das Problem: Auch das setzt unsere Psyche unter Druck. Es entsteht eine ständige Selbstoptimierungspflicht. Wenn du heute nicht glücklich, gesund, produktiv und stylisch bist – bist du dann überhaupt noch relevant?

Und dann? Dopamin-Resistenz – der stille Erschöpfungszustand

Der Clou: Unser Belohnungssystem wird irgendwann „taub“. Wenn ständig neue Reize kommen – Likes, Scrolls, Nachrichten, Pushs – gewöhnt sich unser Hirn daran. Es braucht mehr, um überhaupt noch etwas zu spüren. Das nennt sich Dopamin-Resistenz.

Was folgt, ist paradox: Obwohl wir dauernd auf Input starren, fühlen wir uns leer. Gelangweilt. Antriebslos. Das kann sogar zu einem Bore-out führen – dem Gegenteil von Burn-out. Nicht zu viel Arbeit macht uns fertig, sondern zu viel bedeutungsloser Input. Wir scrollen, wir konsumieren, aber innerlich passiert: nichts. Weil unser Hirn übersättigt ist. Weil echte Tiefe fehlt.

Medien als Spiegel – oder Verzerrung?

Der eigentliche Skandal ist, dass all diese Inhalte – ob Nachrichten oder Selfies – selten nur abbilden, sondern oft eine Realität konstruieren. Und wir als Konsumenten merken das oft zu spät.

Wir denken, wir informieren uns – dabei werden wir geformt. Unsere Ängste, unsere Wünsche, unsere Wahrnehmung. Und das meist, ohne dass wir es bewusst mitkriegen.

Die narzisstische Gesellschaft: Bühne statt Beziehung

Social Media ist keine Welt für Miteinander – es ist eine Bühne. Jeder zeigt sich, aber niemand hört mehr zu. Wir leben in einer narzisstisch geprägten Kultur, in der Likes und Sichtbarkeit oft wichtiger erscheinen als Empathie oder echtes Gespräch. Medien – klassische wie digitale – verstärken das: Wer laut ist, wird gehört. Wer still ist, nicht.

Der amerikanische Psychoanalytiker Christopher Lasch hat diese Entwicklung schon in den 1970ern als „Kultur des Narzissmus“ beschrieben. Heute sind seine Thesen aktueller denn je. In einer Welt, in der Aufmerksamkeit die neue Währung ist, verlieren wir oft den Kontakt zu uns selbst – und zu anderen.

Zwischen Panik, Perfektion und Pause

Ob klassisch oder digital – Medien sind mächtig. Sie informieren, aber sie formen auch. Sie können aufklären, aber auch abstumpfen. Und ja: Sie können auch gezielt manipulieren – durch Auswahl, Wiederholung, Bildsprache und Emotionalisierung.

Und manchmal – wenn alles zu viel wird – brauchen wir genau das, was nirgends im Feed steht: Stille. Langeweile. Echte Begegnung.

Zwischen all dem Lärm ist es unsere Aufgabe, uns selbst nicht zu verlieren – nicht im Schein der Inszenierung, sondern im echten Kontakt: zu anderen und zu uns selbst.