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  • Mein inneres Kind und ich – eine komplizierte WG

Manche bringen Bücher mit. Ich bringe eine Puppe.
In meiner Praxis steht eine Matrjoschka-Puppe auf dem Beistelltisch. Die meisten Menschen kennen sie – diese bunt bemalten Holzfiguren, die ineinander verschachtelt sind. Eine Puppe in der anderen, immer kleiner werdend, bis man im Inneren auf das letzte, kleinste Figürchen trifft.

Was sie bei mir macht? Sie hilft. Sie hilft mir dabei, meinen Klienten etwas zu zeigen, was man schwer in Worte fassen kann: wie unsere Persönlichkeit aufgebaut ist – und wie wir uns manchmal ganz schön gut vor uns selbst verstecken können.

Das innere Kind – wir alle haben eins
Irgendwo ganz tief in uns lebt ein Teil, den viele von uns im Alltag vergessen oder erfolgreich verdrängen: unser inneres Kind. Das ist der Teil in uns, der fühlt. Der mal verletzt wurde. Der Wünsche und Bedürfnisse hatte – vielleicht auch viele davon nie erfüllt bekommen hat.
Und auch wenn wir heute erwachsen, organisiert und kompetent durchs Leben gehen: Dieses innere Kind ist noch da. Und es spricht zu uns – manchmal laut, manchmal ganz leise, oft durch unsere Gefühle.

Aber da sind noch mehr – unsere inneren Beschützer
Rund um dieses Kind haben sich mit der Zeit andere Persönlichkeitsanteile gebildet. Man könnte sagen: Schutzschichten. Wie bei der Matrjoschka.
Da ist vielleicht die Macherin, die immer alles im Griff haben will. Oder der innere Kritiker, der kein gutes Haar an uns lässt. Der Perfektionist, der uns antreibt. Der Verdränger, der einfach zumacht, wenn’s zu viel wird.
Sie alle haben einen Job. Sie sind entstanden, um uns zu schützen. Um Kontrolle zu behalten, um mit schwierigen Erfahrungen klarzukommen. Und das haben sie lange Zeit ziemlich gut gemacht.

Was passiert, wenn wir Schicht für Schicht schauen?
Wenn ich mit Klient:innen mit der Matrjoschka arbeite, passiert oft etwas ganz Einfaches – und gleichzeitig sehr Bewegendes: Wir schauen uns gemeinsam an, welche dieser “Puppen” gerade das Steuer in der Hand hat. Wer spricht da gerade in mir? Wer will mich beschützen – und wovor eigentlich?

Manchmal reicht schon dieses Bild, um einen Zugang zu schaffen. Zu verstehen: Oh, das ist nicht mein ganzes Ich, das da gerade zweifelt, wütet oder sich zurückzieht – das ist nur ein Teil von mir. Und wenn wir bereit sind, eine Schicht nach der anderen anzuschauen, dann kommen wir irgendwann zu dem innersten Kern: zum Kind. Zu dem verletzlichen, lebendigen Teil, der oft einfach nur sagen möchte: „Ich bin noch da. Siehst du mich?“

Warum Bilder so viel bewirken können
Ich glaube, dass wir innere Prozesse besser verstehen, wenn wir sie fühlen und sehen können. Und genau deshalb liebe ich diese Puppe. Sie ist kein Therapie-Wunderwerkzeug. Aber sie hilft, Türen zu öffnen. Weil sie etwas verkörpert, das wir alle intuitiv verstehen: dass wir aus vielen Schichten bestehen – und dass jede davon ihren Platz hat.

Ein kleiner Blick hinter die Praxiskulissen
Manchmal greife ich ganz gern zu ihr, wenn Worte alleine nicht reichen. Die Matrjoschka steht meistens im Regal, aber wenn sie auf dem Tisch landet, passiert oft etwas Interessantes: Menschen nicken, lächeln – oder sagen sowas wie „Ach du meine Güte, ja, so bin ich auch gebaut.“

Und genau darum geht’s: Wir sind alle irgendwie wie diese Puppe – nicht nur eins, sondern viele. Mal übernimmt der innere Antreiber das Kommando, mal der Zweifler, mal der kreative Chaot. Und irgendwo dazwischen sitzt oft ein kleiner, sehr empfindsamer Teil, der sich nicht besonders für Stechuhrzeiten oder To-do-Listen interessiert.

Mir geht es in der Arbeit nicht darum, diese Anteile zu „reparieren“ oder loszuwerden. Im Gegenteil: Ich finde, sie haben alle ihre Daseinsberechtigung – auch wenn manche von ihnen es ein bisschen zu gut mit uns meinen.

Wenn du also das nächste Mal innerlich einen kleinen Aufstand bemerkst oder dich fragst, warum du gerade wieder so heftig reagierst: Vielleicht ist’s einfach nur eine innere Puppe, die sich meldet. Und vielleicht ist es an der Zeit, ihr mal zuzuhören – oder zumindest freundlich zu sagen: „Alles klar, ich hab dich gehört – du darfst dich jetzt auch wieder setzen.“